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Montag, 18. Juni 2012

Über Noam Chomsky im Angesicht neuer Kriege

Die aktuelle Situation der USA: Krieg in Afghanistan, Somalia, geheimer Krieg in Pakistan und Syrien, vielleicht bald ein Krieg gegen Syrien und sogar gegen den Iran. In diesem Umfeld werde ich eine Reihe von wichtigen aktuellen Reden von Noam Chomsky als Transkript in Deutsch veröffentlichen. Reden, die in Deutschland praktisch unbekannt sind. Bevor ich das aber beginne, muss man die Geschichte kennen. Und die Hintergründe über diejenigen, die sich heute noch gegen Krieg in den USA einsetzen. Es lohnt sich, einen Moment inne zu halten und die Geschichte von Zeitzeugen der Geschichte der USA anzuhören.
(Fred Branfman) Vor zweiundvierzig Jahren hatte ich eine ungewöhnliche Erfahrung. Ich befreundete mich mit einem Typen mit Namen Noam Chomsky. Ich lernte ihn kennen als einen Menschen, bevor mir seine Berühmtheit und sein Einfluss auf meine Arbeit bewusst wurden. Und seitdem hatte ich oft an seine Erfahrung gedacht – einmal wegen der Einsichten, die er mir verschafft hatte, und, was noch wichtiger ist, wegen der großen Probleme in der sich unsere Nation und die Welt heute wieder befindet. Der herausragende Einfluss auf mich war seine ständige Fokussierung auf die Art, wie die Führer der USA so viele Menschen der Welt als „Unmenschen“ behandelten. Sie entweder wirtschaftlich ausbeuteten, oder mit ihnen Krieg führten, sie verstümmelten, ermordeten oder heimatlos machten, wie über 20 Millionen Menschen seit dem Ende des 2. Weltkriegs (über 5 Millionen im Irak und 16 Millionen in Indochina nach offiziellen US-Regierungs-Statistiken).

Unsere Freundschaft wurde geformt unter dem Eindruck der Sorge für einige dieser „Unmenschen“ nachdem er Laos im Februar 1970 besucht hatte. Ich hatte drei Jahre in einem laotischen Dorf vor der Hauptstadt Vientiane gelebt und sprach laotisch. Aber fünf Monate vorher war ich bis in die Grundfesten erschüttert worden, als ich die ersten laotischen Flüchtlinge interviewte, die nach Vientiane von den Hochebenen Jars im nördlichen Laos gebracht worden waren. Einer Region, die seit 1964 von der kommunistischen Pathet Lao kontrolliert wurde. Ich hatte zu meinem Entsetzen entdeckt, wie die Regierungsverantwortlichen der USA verdeckt und insgeheim diese friedlichen Dörfer über fünf und ein halbes Jahr lang bombardiert hatten. Wobei sie zehntausende von Menschen in unterirdische Höhlen getrieben hatten, wo sie gezwungen waren wie Tiere zu leben.

Ich hatte erfahren von zahllosen Großmüttern, die lebend durch Napalm verbrannt worden waren, von zahllosen Kindern, die lebend unter 500-Pfund-Bomben begraben wurden, Eltern die durch Minen zerfetzt wurden. Ich habe Splitter von diesen Bomben in den Körpern der Flüchtlinge fühlen können, bei den Glücklichen, die entkommen waren. Ich interviewte Menschen, die durch die Bomben erblindet waren, ich sah die Wunden von Napalm auf den Körpern von Kindern. Ich erfuhr, dass die Bomben der USA die Ebenen einer 700 Jahre alten Zivilisation mit mehr als 200.000 Menschen in eine verödete Wüste verwandelt hatten. Und dass die meisten Opfer alte Menschen, Eltern und Kinder waren, die in der Nähe ihrer Dörfer geblieben waren. Es waren nicht die kommunistischen Soldaten, die sicher durch die dicht bewaldeten Wälder marschieren konnten, und dabei aus der Luft weitgehend unerkannt bleiben konnten. Und ich musste auch begreifen lernen, dass die US-Behördenvertreter dieses Bombardement vollkommen einseitig organisiert hatten. Sie hatten noch nicht einmal das Einverständnis des Kongresses oder der amerikanischen Menschen eingeholt. Und ich begriff, dass die Flüchtlinge, die aus der verwüsteten Ebene hatten fliehen können, die glücklicheren waren. Denn sie hatten überlebt. Während sie überlebt hatten, sollte die USA noch weitere hunderttausende von unschuldigen Laoten bombardieren, den Krieg sogar noch ausweiten.

Ich war aufgewachsen im Glauben an die amerikanischen Werte, aber diese Bombardierung von unschuldigen Menschen verletzte jeden dieser Werte. Wenn man die Vertreter der US Regierung mit den Augen der laotischen Flüchtlingen betrachtete, die ich in den Flüchtlingslagern kennen gelernt hatte, dann waren sie der Feind menschlichen Anstandes, von Demokratie, Menschenrechten und internationalem Recht. Und ich lernte, dass sich in dieser realen Welt Verbrechen auszahlen kann. So sehr man auch in Amerika glauben mag, dass Amerika eine „Nation der Gesetze, nicht der Männer“ wäre, so war es aus Sicht der Laoten ganz eindeutig eine Nation von grausamen, brutalen und rechtlosen Menschen.

Ohne auf eine Gewissensentscheidung zu warten, war mir sofort klar, dass ich alles tun musste, was in meiner Macht stand, um diesen unbeschreiblichen Horror zu beenden. Als ein Jude, der von Holocaust geprägt war, fühlte ich mich, als ob ich gerade die Wahrheit über Auschwitz und Buchenwald entdeckt hätte, während das Morden immer weiter geht. Und sofort begann ich jeden den ich finden konnte, darunter die Journalisten der CBS Bernhard Kalb, der ABC Ted Koppel, der New York Times Flora Lewis, zu den Flüchtlingslagern zu bringen, in der Hoffnung, wie würden die Geschichte der Bombardierungen in die Welt hinaustragen.

Eines Tages hörte ich, dass drei Anti-Kriegs-Aktivisten, Doug Dowd, Richard Fernandez und Noam Chomsky, einige Nächte im Hotel Lane Xang in Vientiane verbringen würden, bevor sie das Flugzeug der Internationalen Kontroll Kommission (ICC) zu einem langen Wochenende nach Hanoi nehmen sollten. (Der einzige Weg nach Hanoi in dieser Zeit war über Phnom Penh.) Ich rief einen von ihnen auf seinem Zimmer an, stellte mich vor, wir trafen uns und Noam kam mit mir am nächsten Tag mit zu dem Dorf wo ich wohnte um mit uns zu Abend zu essen. Geplant war, dass er am nächsten Tag nach Hanoi fliegen sollte.

Ich hatte die meiste Zeit der 1960er Jahre im Mittleren Osten, Tansania und Laos verbracht, und ich wusste relativ wenig über Doug, Dick oder Noam, obwohl mir klar war, dass Noam ein hervorragender Linguist war und schon viele gute Texte über den Indochina-Krieg geschrieben hatte. Mein Wunsch war, ihnen zu erklären, wie ernst die Bombardierung war, in der Hoffnung, sie würden etwas dagegen unternehmen.

Auf einer persönlichen Ebene zog mich Noam sofort an. Er war höflich aber entschlossen, wobei wir die letzte Eigenschaft mit ihm teilte. Und er kümmerte sich ganz offensichtlich. Einer der Gründe warum ich so erschüttert über die Bombardierungen war, war die Tatsache, dass ich die Menschen, die in meinem Dorf lebten so gut kennen gelernt hatte. Besonders einen 70 Jahre alten Mann mit Namen Paw Thou Douang, der sich meiner wie ein Ersatzvater angenommen hatte. Er war freundlich, weise und höflich, und ich respektierte ihn mehr als jeden anderen, den ich vorher getroffen hatte. Ich war ganz besonders angetan davon wie warmherzig Noam eine Beziehung mit Paw Thou und seiner Familie während unseres Abendessens aufbaute. Und er zeigte eine interessierte Neugier über das, was in Laos passierte, auf die ich allzu gerne reagierte.

Am nächsten Tag hörten die Besucher ärgerliche Neuigkeiten: Der Flug der ICC nach Hanoi war abgesagt worden, und der nächste Flug würde erst in einer Woche gehen. Alle drei hatten ausgefüllte Terminpläne und begannen Pläne zu schmieden, für die Woche zurück zu fliegen. Ich schlug aber Noam vor, dass er vielleicht bleiben könnte. Ich erklärte ihm dass ich für ihn Treffen mit den Flüchtlingen vor den Bomben, mit der US-Botschaft, den Offiziellen der laotischen Regierung, mit dem Premierminister Souvanna Phouma, mit den Vertretern der Pathet Lao und ehemaligen Guerilla-Soldaten verschaffen könnte. So wie ich es schon vorher für die Medien gemacht hatte. Aus seiner Sicht war es eine einmalige Gelegenheit, sich über den geheimen Krieg der USA in Laos zu informieren. Und ich hätte die Möglichkeit, die Bombardierungen der Welt bekannt zu machen.

Noam war einverstanden, und ich denke, wir beiden hatten eines dieser einmaligen Erlebnisse in einem Leben, er auf dem Rücksitz eines Motorrades auf den Straßen von Vientiane, während er versuchte so viel wie möglich über den Krieg der USA in Laos zu erfahren. Über einen Krieg, der zum größten Teil bis dahin für die Welt unbekannt war. Erst im nächsten Monat sollte Richard Nixon zum ersten Mal öffentlich zugeben, dass die USA Laos während der letzten sechs Jahre bombardiert hatten, und doch logen er und Kissinger weiter, indem sie behaupteten, dass nur militärische Ziele angegriffen worden wären.

Ich habe eine Reihe von besonders lebhaften Erinnerungen über die gemeinsame Woche mit Noam. Eine davon war zu beobachten, wie er die Zeitung las. Er schien die Seite anzustarren, schien sie auswendig zu lernen, und eine Sekunde später schlug er sie um und starrte auf die nächste Seite. Einmal gab ich ihm gegen 22:00 Uhr am Abend ein Buch mit 500 Seiten über den Krieg in Laos. Und ich traf ihn am nächsten Morgen beim Frühstück, bevor wir den Besuch beim politischen Offizier Jim Murphy an der US-Botschaft vereinbart hatten. Während des Interviews kam die Frage der Stärke der Nordvietnamesischen Truppen in Laos auf. Die Botschaft behauptete, dass 50.000 Soldaten Laos besetzt hätten, während die Beweise klar zeigten, dass es nicht mehr als ein paar tausend waren. Ich fiel fast vom Stuhl, als Noam eine Fußnote zitierte, die irgendwo in den vielen hundert Seiten des Buches, was ich im am Vorabend gegeben hatte, genau das aussagte. Ich hatte den Begriff „photographisches Gedächtnis“ schon einmal gehört. Aber ich hatte es niemals so nützlich in Aktion gesehen. (Interessant war dann, dass Jim Noam interne Dokumente der Botschaft zeigte, die ebenfalls die kleinere Zahl bestätigten, was Noam später in dem langen Kapitel über Laos in seinem Buch „Im Krieg mit Asien“ zitierte.)

Ich war auch von seiner Selbsteinschätzung überrascht. Er hatte eine Abneigung dagegen, über sich selbst zu sprechen – im Gegensatz zu den meisten „Großen Journalisten“ die ich bis dahin getroffen hatte. Er hatte wenig Interesse an Small Talk, Gerüchten oder Diskussionen über Personen, und er war ständig absolut fokussiert auf die Angelegenheiten, die ihn beschäftigten. Er spielte seine linguistischen Fähigkeiten herunter, indem er erklärte, dass das unerheblich wäre, in Anbetracht des Massenmordes, der in Indochina stattfinden würde. Er hatte überhaupt kein Interesse daran das Nachtleben von Vientiane oder Touristen-Attraktionen zu besuchen, oder sich am Swimming-Pool zu entspannen. Er beeindruckte mich als ein echter Intellektueller, ein Mensch der in seinem Kopf lebte. Und ich konnte ihn verstehen, auch ich lebte in meinem Kopf und auch ich fühlte eine Mission.

Aber was mich am meisten beeindruckte, war ein Ereignis, das passierte, als wir zu einem Flüchtlings-Camp fuhren, in dem die Flüchtlinge aus den Jars-Ebenen lebten. Ich hatte ein dutzend Journalisten und andere Leute zu diesem Camp gebracht, und alle waren emotional vollkommen distanziert gegenüber den Leiden der Flüchtlinge gewesen. Ob es Bernhard Kalb von CBS, Welles Hangen von NBC oder Sidney Schanberg von der New York Times waren, die Journalisten hörten höflich zu, stellen ein paar Fragen, machten sich Notizen und gingen zurück in ihr Hotel um ihre Geschichte zu schreiben. Sie zeigten weder Emotionen, noch größeres Interesse daran, durch welche Qualen die Flüchtlinge gegangen waren, oder was sie benötigten. Unsere Gespräche auf der Rückfahrt im Auto betrafen in der Regel das Abendessen oder die Ereignisse des nächsten Tages.

Und so war ich verblüfft, während ich Noams Fragen und die Antworten der Flüchtlinge übersetzte, wie ich plötzlich sah, wie er zusammen brach und zu weinen begann. Ich war schockiert, nicht nur weil ich die anderen beobachtet hatte, wie sie das Lager verlassen hatten, sondern weil er sich nicht dagegen wehrte, zu zeigen, was menschlich war, Gefühle. Noam war mir so intellektuell erschienen so in einer Welt der Ideen, Worte und Konzepte lebend, hatte mir so selten etwas wie Gefühle gezeigt. Und ich begriff, dass ich in diesem Moment einen Blick in seine Seele tat. Und das Bild, wie er weinend in dem Lager kauert hat mich seitdem nie mehr verlassen. Wenn ich an Noam denke, ist dieses Bild wieder vor meinem geistigen Auge präsent.

Ein weiterer Grund, warum mich seine Reaktion so berührte war die Tatsache, dass er diese Laoten gar nicht kannte. Für mich war es einfach gewesen, zwischen ihnen zu leben, und Menschen wie Paw Thou lieben zu lernen, mir selbst die Aufgabe auferlegend, die Bombardierungen zu beenden. Aber in diesem Augenblick hatte ich Ehrfurcht entwickelt, nicht nur vor Noam, sondern vor den vielen tausend Amerikanern, die so viele Jahre ihres Lebens opferten, um das Töten der Menschen Indochinas zu beenden, Menschen, die sie überhaupt nicht kannten, nie gesehen hatten.

Als wir an diesem Tag von dem Lager zurück fuhren, blieb er still, immer noch stark berührt davon, was er erfahren hatte. Er hatte schon intensiv über die Kriegführung der USA in Indochina geschrieben. Aber dieses Mal war das erste Mal gewesen, dass er Opfer des Krieges ins Auge gesehen hatte. Und in dieser Stille wurde zwischen uns ein unsichtbares Band geknüpft, über das wir niemals diskutieren mussten.

Wenn ich auf mein Leben zurück blicke, denke ich, dass ich damals ein besserer Mensch war, als zuvor. Und ich begriff, dass wir zu diesem Zeitpunkt beide von den gleichen Grundsätzen ausgingen: Verglichen mit dem gewissenlosen Abschlachten dieser unschuldigen, freundlichen, höflichen Menschen – und so vielen anderen – erschien alles andere trivial. Wenn man weiß, dass diese unschuldigen Menschen sterben werden, wie konnte man dann verantworten, nicht alles zu unternehmen, um ihre Leben zu retten? …

Nachdem ich in die USA zurückgekehrt war, blieben Noam und ich in regelmäßigem Kontakt, während des gesamten Krieges. Meine Bewunderung für Noam stieg, als ich begann seine Arbeiten zu lesen und zu begreifen, dass niemand in einer solchen Detailtiefe schreiben konnte, eine solche Logik entwickelte, und ein so tiefes Verständnis hatte, sowohl über die Horror des Krieges, als auch über das System, das dies produzierte. Was mich auch stark beeindruckte – ebenso wie an seinem Freund, Howard Zinn von der Boston University – war, dass beide über das Schreiben und Reden hinausgingen, und auch ihre Körper einsetzten, um sich dem Morden entgegen zu setzen.

Noam und Howard waren Teil meiner „affinity group“ (Verbindungsgruppe) während der Mai-Tags-Demonstrationen, während denen Tausende verhaftet wurden. Und wir saßen in nebeneinander liegenden Zellen, nach diesen Aktionen des zivilen Ungehorsams in Washington D.C. Unsere Gruppe unterstützte Widerstand gegen Wehrpflicht und Steuerzahlung als Protest gegen den Krieg, und wir wären wohl verurteilt worden, hätte nicht die Tet-Offensive begonnen. Er hatte seit 1963 Reden gegen den Krieg gehalten, noch bevor die meisten von uns überhaupt etwas über den Krieg gehört hatten. Und er hatte unzähligen Todesdrohungen widerstanden, und gegen eine Unzahl von Schwierigkeiten ankämpfen müssen – so dass sein Frau Carol wieder zur Schule ging, um einen Beruf zu lernen, weil sie befürchtete, dass Noam etwas zustoßen würde, und er nicht für die drei Kinder sorgen könnte.

Als der Krieg beendet war, fällte ich eine schicksalshafte Entscheidung. Statt weiter damit fort zu fahren, gegen das nächste Set von Horror der US-Führung anzukämpfen, entschloss ich mich, im Inland zu versuchen, eine neue Generation von Anführern zu erziehen, die gegen Krieg waren und die die Idee der sozialen Gerechtigkeit vertraten. Ich verbrachte die nächsten 15 Jahre in der inländischen Politik – mit Tom Hayden und der Graswurzel-Bewegung für wirtschaftliche Demokratie, als Beamter auf Kabinett-Ebene mit Gouverneur Jerry Brown, in Senator Gary Harts Denk-Fabrik und beim „Wiederaufbau Amerikas“, ich beriet viele von Amerikas Top-Wirtschaftsexperten und Wirtschaftsführern.

Während dieser Phase hatte ich nur sporadisch Kontakt mit Noam. Teilweise, weil unsere Interessen sich auseinander entwickelt hatten. Er füllte weiter Artikel, Bücher und hielt Reden, in denen er die mörderische Politik der USA gegenüber Ost Timor offen legte, Reagans terroristische Kriege in Zentral-Amerika, Clintons zerstörerische Wirtschaftspolitik in Haiti, und anderen Drittweltländern, und sein Bombardieren des Kosovo, und er schien leidenschaftlich damit beschäftigt zu sein, Amerikas Hilfe für Israel trotz deren furchtbaren Behandlung der Palästinenser anzuprangern. Diese Angelegenheiten waren so weit von meinen eigenen Aufgaben und Zielen in der Politik der Wahlen und inländischen Problemen entfernt, in denen ich mich mit Solarenergie und der Entwicklung einer nationalen Wirtschaftsstrategie beschäftigte.

Wenn ich zurück blicke jedoch, muss ich feststellen, dass ich vollkommen ohnmächtig in meiner Arbeit war. Und so versuchte ich Noam auszuweichen, denn ich befürchtete, dass er mir mangelnde Moral vorwerfen würde, weil ich meine Arbeit aufgegeben hatte, Menschenleben zu retten, und weil ich mich mit einem korrupten politischen System kompromittiert hätte. Ich stellte fest, dass ich im Gedanken heftige Selbstgespräche führte, und versuchte zu rechtfertigen, was ich tat. Was aber noch schwieriger war, als Wahlkämpfe zu organisieren. Und ich fand mich viel mehr auf mein Ego-konzentriert als während des Krieges, und fühlte mich als Versager.

Nach mehr als einem Jahrzehnt, ich war noch in Boston, rief ich Noam an. Er lud mich sofort warmherzig ein, zu ihm nach Hause zu kommen und wir unterhielten uns eine Weile. Schließlich fragte ich ihn, wie er darüber dachte, dass ich in die Wahlpolitik gegangen war. Ich erwähnte auch, dass ich mit einem früher progressiven Freund zusammen war, der jetzt für eine der großen Banken arbeitete, und dass dieser mir am Morgen gesagt hatte, dass er Noam nicht sehen wollte, weil er befürchtete, dass Noam ihn verurteilen würde. Noam war wirklich schockiert. „Wir sind alle kompromittiert“, sagte er. „Schau mich an. Ich arbeite für die MIT, die Millionen vom Verteidigungsministerium erhalten hat“. Er schien ernsthaft betrübt darüber zu sein, dass einer seiner früheren Freunde glaubte, dass er ihn dafür verurteilen würde, was er heute tat.

In den letzten Jahren war ich regelmäßig mit Noam in Kontakt, meist per E-Mail, aber ich lebte auch in seinem Haus, 10 Tage lang, bevor ich an Howard Zinns Gedenktag am 3. April 2010 teilnahm. Es war eine sehr emotionale Zeit für uns, besonders für Noam, der eng mit Howard verbunden war, und der Besuch hinterließ tiefe Eindrücke bei mir.

Eigentlich fand ich den gleichen Noam vor, den ich 40 Jahre vorher getroffen hatte. Kein Interesse an Small Talk. Selbstkritisch, verärgert über Amerikas Intellektuelle und Journalisten, die sich weigerten, die US-Kriegsverbrechen anzuerkennen. Das war damals eine wichtige moralische Angelegenheit. Ein netter Kerl, der mir anbot, mich von Cambridge mit nach Hause zu nehmen, oder für mich im Supermarkt einzukaufen.

Ich fragte Noam, wie er sich fühlte, weil er immer wieder kritisiert wurde, für sein sich Fokussieren auf die Kriegsverbrechen der US-Führer und andere Helden der Nation? Er sagte, dass er glaube, dass es angemessen wäre, was er täte, denn er wäre ein US-Bürger, und die US-Führung hätte mehr Kriegsverbrechen als alle anderen seit Ende des 2. Weltkrieges begangen. Ich stimmte ihm zu, und stellte fest, dass so viele prominente Intellektuelle, die ausländische Staatsführer kritisieren, sich so wenig um die eigenen Kriegsverbrechen kümmern würden.

Und wie 40 Jahre vorher, war ich über seine unermüdliche Arbeit überrascht. Er verbracht fast seine gesamte Zeit damit zu lesen, zu schreiben, interviewt zu werden, oder zu telefonieren, und trotz seines großen Bekanntheitsgrades, eine nicht enden wollende Menge an E-Mails zu beantworten, womit er oft mehr als fünf oder sechs Stunden am Tag verbrachte.

Und ich stellte fest, dass er immer noch überall im Land und der Welt Reden hielt, so dass sein Terminkalender für Jahre im Voraus ausgefüllt ist. Im Alter von 82 Jahren hatte er eine Menge von Aufgaben, die einen 40 Jahre jüngeren Mann überlasten würden.

Ich war auch über seine Askese überrascht. Wenn ich ihn anrief stellte ich fest, dass er die gleiche Telefonnummer hatte, und in dem gleichen bescheidenen Heim wohnte wie 40 Jahre vorher. Er trug Jeans und hatte praktisch kein Interesse an Essen oder materiellem Besitz. Er wurde immer wieder von Freunden und Familienmitgliedern besucht, aber er nahm praktisch an keinen anderen Freizeitbeschäftigungen teil.

Ganz besonders beeindruckte mich eine Nacht, als ich vor ihm beim Abendessen saß, wieder sprachlos über sein ungeheures Wissen, das Noam über die Morde von Unschuldigen in der ganzen Welt durch die Anführer der USA hatte, und wie er dies öffentlich aussprach. Ich dachte plötzlich an Winston Smith aus Orwells 1984 der wenig Hoffnung sah, die Gesellschaft zu verändern, und nur versuchte, sich geistig gesund zu erhalten und die Wahrheit auf Papier festhielt, in der Hoffnung, dass zukünftige Generationen sich daran erinnern würden. Ich sagte Noam, dass für mich, in diesem Moment, repräsentierte er Winston Smith für mich.

Ich werde seine Antwort nie vergessen. Er sah mich an. Und er lächelte traurig.

Noam kann hart über jene urteilen, von denen er annimmt, dass sie die US-Kriegführung gegen die Welt unterstützen. Aber er ist noch härter mit sich selbst. Bei einer Gelegenheit erwähnte ich, dass ich einen politischen Aktivisten, der sein Leben lang für seine Ideale gekämpft hatte, und mit dem wir beide befreundet waren, gefragt hatte, ob er etwas bedauern würde. Unser Freund hatte geantwortet, dass er sich wünschte, mehr Zeit mit seiner Familie verbracht zu haben, und eine Vielzahl seiner unpolitischen Interessen verfolgt zu haben. „Bedauerst du etwas, Noam“? fragte ich ihn dann. Seine Antwort schockierte mich. Indem er in sich hinein hörte, sagte er: „Ich habe nicht genug getan“.

… {abgekürzt}

Während meines Aufenthaltes bei ihm, fragte ich Noam, wen er in der Welt am meisten schätzen würde. Er antworte, indem er über seinen Besuch bei Eingeborenen in abgelegenen Gebieten Kolumbiens berichtete, die er besuchte hatte, und die gegen eine Ausbeutung ihres Regenwaldes kämpften. Noam hatte mehrere Tage damit verbracht, ihnen zuzuhören, ihre Geschichte der großen Schmerzen und des großen Mutes aufzunehmen. Bei einem seiner letzten Besuche waren sie auf einen Berg geklettert, angeführt von Schamanen, hatten eine Zeremonie veranstaltet, um den Wald Carol zu widmen. Ich hatte ihn noch nie so bewegt, lebendig und emotional bewegt gesehen seit den 40 Jahren vorher in Laos.

…. Wenn genügend von uns gelebt und gearbeitet hätten wie Noam, und versucht hätten, die Führer der USA davon abzuhalten, unschuldige Menschen während der letzten 40 Jahre auszubeuten und zu ermorden, dann wären unzählige Menschen gerettet worden, und Amerika und die Welt wäre eine reichere, friedlichere und gerechtere Welt. Diese Welt würde nicht auf den Zusammenbruch der Zivilisation hin marschieren, die wir jetzt z.B. durch den Klimawechsel erwarten. Noam glaubt, dass die Hauptverantwortung dafür bei den Wirtschaftsunternehmen liegt, die durch kurzfristige Gewinnmaximierung angetrieben, den Klimawechsel als „externes“ Problem ansehen. Also als ein Problem, um das sich jemand anderes kümmern müsse. Aber es ist klar, dass die Tatsache, dass nicht genügend von uns anderen, mich eingeschlossen, angemessen auf die Herausforderungen der Zivilisation reagiert haben, für den drohenden Untergang der Zivilisation mit verantwortlich ist.

Und ich begriff schließlich, dass die wichtige Frage nicht war, warum Noam so wie er es tat, auf das Leiden der unschuldigen Menschen auf dem Planeten antwortete, sondern warum wir nicht mehr taten.
Original in Englisch: http://www.salon.com/writer/fred_branfman/
Chomskys politische Schriften erschienen in Deutschland zunächst im Suhrkamp-Verlag, wurden dort aber ab den 1980er Jahren nicht wieder aufgelegt. Im Berliner Oberbaum Verlag erschien 1975 ein kritischer Sammelband von Chomsky und Edward S. Herman über den Imperialismus. 1981 erschien eine Übersetzung eines französischen Buches mit Interviews von Mitsou Ronat unter dem Titel Sprache und Verantwortung bei Ullstein. Chomsky verschwand in Deutschland als politischer Kritiker vorübergehend aus der öffentlichen Wahrnehmung.[26] Er wurde, durchaus vergleichbar mit seiner Rezeption in den USA, von kleineren linken Verlagshäusern wie dem Argument Verlag, Berlin, zu Klampen in Lüneburg, Pendo (Zürich), Mink (Berlin) und vor allem dem Trotzdem-Verlag und dessen Zeitschriften (Schwarzer Faden, Dinge Der Zeit) im Bewusstsein gehalten, bis die globalisierungskritische Bewegung ihn gegen Ende der 1990er Jahre wieder breiteren Medien interessant machte und seine Bücher daraufhin unter anderem im Europa-Verlag erschienen.
Chomskys linguistische Arbeiten, insbesondere seine Berufung auf Wilhelm von Humboldt in Cartesian Linguistics, wurden schon bald einer scharfen philosophischen und historischen Kritik unterzogen. (http://de.wikipedia.org/wiki/Noam_Chomsky)

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